Unsere Geschichte ist endlich komplett. Der letzte Gewinner steht fest. Dank an alle die mitgemacht haben und an alle die gevotet haben. Und hier ist sie nun in voller Länge: Die GTB Weihnachtsgeschichte
Hannah Jänicke setzte sich im Schneidersitz auf ihren Bürostuhl, langte mit links nach der Croissanttüte und blätterte mit der anderen Hand in den drei Tageszeitungen, die sie abonniert hatte. Nie kam sie morgens zu Hause dazu, auch nur eine davon durchzusehen.
Ihr Blick huschte über die Seiten. Afghanistan, wie immer. Merkel spricht Machtworte in Atomdebatte, schrecklich. Gesundheitsreform, quälende Pflichtlektüre. Dann blieb sie an einer Schlagzeile hängen: „Einfach grün – Wie ich meinen Haushalt auf öko trimme und dabei noch Geld spare!“.
Nicht zu fassen. Der Kollege nahm den Mund ganz schön voll. So einfach war das eben nicht! Aber Hauptsache, die Zeile stimmt.
Sie verscheuchte die bunten Fischchen von ihrem Computerbildschirm und blickte auf die Uhr. Kurz vor zehn, höchste Zeit für die Konferenz.
Wie zu erwarten, war sie die letzte, die sich in den Saal drängelte, was ihr ein Stirnrunzeln von Achim Grote, ihrem direktem Vorgesetzten eintrug. Hannah lehnte sich an die Wand und bemühte sich, der Blattkritik zu folgen.
Die Stimme des Chefredakteurs Horst Koch riss sie aus ihren Gedanken. „Können Sie mir das erklären?“, bellte es aus der Mitte des Inner Circle heraus, „warum wir das nicht haben?“ Er hielt eine Zeitung hoch und deutete auf die Überschrift in fetten schwarzen Lettern, die Hannah schon kannte: „Einfach grün!“
Das hat mir gerade gefehlt, dachte Hannah. Dieser Volltrottel. Kommt jeden Morgen mit dem Auto in die Redaktion und trägt Armani.
„Die Realität sieht leider anders aus“, erklärte sie knapp. „Wir hier haben beispielsweise nicht mal Recyclingpapier in den Druckern“.
„Wollen Sie damit sagen, dass die Kollegen das frei erfunden haben?“, fragte Koch. „Nein, aber wir sollten uns gelegentlich an die eigene Nase fassen und auch sehen, welche Hürden es zu nehmen gilt“, sagte sie geduldig. Sie erinnerte sich daran, wie sie gestern versucht hatte, zuhause den wasser sparenden Duschkopf durchzudrücken. Sie hätte keine Lust, von Strahl zu Strahl zu hüpfen, hatte ihre Tochter gesagt. Und die globale Wassernot sei ihr egal.
„Wir machen so eine Geschichte“, sagte Koch trocken. „Wofür haben wir denn eine Müslimaus wie Sie? Und wenn sie über Pleiten, Pech und Pannen berichten wollen, dann fangen Sie am besten bei sich selber an“. (Teil 1 von Kristin Brodde)
Hannah hob ihre Augenbrauen leicht an und rang sich ein liebliches Lächeln ab."Natürlich Herr Koch, ganz wie sie wünschen", sie senkte ihren Kopf ehrerbietig und machte eine unterstreichende Gestik mit ihrer Hand.Anschließend musterte sie ihren Chef und seine wie eine Schmeissfliege glänzende Krawatte.Koch sah sie einen Moment lang finster an, offenbar versuchten seine Gehirnzellen Signale hin und herzuwerfen um damit herauszufinden, ob er ihre Antwort als Beleidigung aufzufassen hatte. Doch die Besprechung nahm ihren weiteren Lauf und die Krawatte hatte nun wichtigeres zu tun.
Es folgten die gewöhnlichen 'Wünsche' Kochs an seine Untergebenen und deren klagloses Abnicken.
Als die Besprechung sich auflöste trat Achim Grote an Hannah heran und nahm sie beiseite."Na, darfst dir das nicht so zu Herzen nehmen, hm?", meinte er aufmunternd.
Hannah atmete aus entgegnete: "Alles okay, wirklich, kein Grund zur Sorge."Mit diesen Worten wollte sie sich umwenden, doch Achim hielt sie nocheinmal zurück, "nächstes Mal bitte püntklich sein, okay?"Hannah, die sich bereits umgewandt hatte, presste die Lippen aufeinander und nickte dann."Sorry", meinte sie und entwand sich Achims Blick.
Zurück an ihrem Platz ließ sie sich nieder und streckte die Beine von sich."Müslimaus... Pleiten, Pech und Pannen", dachte sie, während sie die Stifte auf ihrem Platz ordnete, "sehr witzig".
Eigentlich sollte sie es mittlerweile gewohnt sein.Umweltbewusstes Denken wurde hier nicht besonders groß geschrieben, es sei denn, es bringt die Kasse zum klingeln.
Hannah schnippte sich einen Croissantkrümmel von ihrem Bein und rollte an ihren Tisch.
Sie ärgerte sich darüber, dass sie sich ärgerte.Hatte sie an der Aussage etwas getroffen?
Sie bewegte die Maus mehrmals hin und her, etwas kräftiger als nötig - und sah dann auf den Bildschirm, die ärgerlichen Gedanken dabei versuchend beiseite zu schieben.
Sie ließ den Mauszeiger über das E-Mailsymbol auf den Desktop wandern, klickte und sah zu, wie die E-Mails abgerufen wurden.Wie eine Schar Ameisen füllte sich der Bildschirm mit dick hervorgehobenen Buchstaben.
Hannah ließ die Arme baumeln und warte, dass die Aktualisierung abgeschlossen sein würde.
Ihr Blick wanderte erneut zu der Zeitschrift. "Grün", sie dachte an Jim Carrey in "Die Maske", der Film, der gestern im Fernsehen lief.Okay, hatte wohl nichts mit dem Thema zu tun.
Ihr Blick wanderte wieder zum Bildschirm. (Teil 2 von Mejin)
Doch im E-mail Postfach nur Spam. Hannah hatte ein Problem. Eine Idee finden zu einem Konkurrenzartikel, der mehr zu bieten hat, außer einer Aneinanderreihung grüner Wunder, die dazu noch dem Portemonaie gut tun. Wenn sich für die Leser die beschönigten Erwartungen nicht gleich erfüllen, verwerfen sie diese Gedanken doch sofort wieder und nichts würde sich ändern.
Trotzdem stand dieser Kollege wohl besser da bei seinem Chef, als Hannah vor Herrn Koch.
Ihre Konzentration schwand ein wenig mehr dahin und fiel beinahe mit der leeren Croissanttüte in den Papierabfalleimer. Wie sollte sie sich hier auch konzentrieren, zwischen dem Übermäßigen Gebrauch von Deo Sprays ihrer Kolleginnen, deren Tratsch ebenfalls die Luft verschmutzt. Oder der dauernd brodelnden Kaffeemaschine, die den ganzen Tag läuft, um Kaffee warm zu halten der sowieso weg geschüttet und neuer gebrüht wird, der in seinem Leben noch nie das Fair Trade Logo gesehen hat. Den stechenden Schmerz in ihren Augen vom ultraweißen Papier, dass einmal zu oft chemisch behandelt wurde und nur Abwechslung in den schwarzen Lettern überflüssiger Ausdrucke bietet. Welche wiederum vom Feinstaub schleudernden Toner des Druckers rühren.
All diese Gedanken bereiteten Hannah Kopfschmerzen. Wenn man diese Welt ändern will muss man die Menschen ändern. Doch lag ihr noch die Pleiten-Pech-und-Pannen Antwort Herrn Kochs schwer im Magen. Nur für einen kleinen umweltbewussten Hinweis.
In der Betreffzeile der neusten Spammail kam ihr die erlösende Idee für ihren Problem, welches mittlerweile zum Problemhaufen angehäuft war. "Probanden, Studienteilnehmer, Testperson... verdienen sie schnelles Geld als Versuchsobjekt!?"
Das war es. Die Kollegen im Büro wollen sich nicht ändern lassen, die Leser ignorieren unglaubwürdige Artikel (so grün er auch sein mag) ohne bewiesenen Halt und wenn Hannah jemanden anspricht, hört niemand auf die Müslimaus. Also wird das Büro zum grünen Testgelände und ihre Mitarbeiter zu den Versuchspersonen. Schädliches soll verbannt werden und Ergebnisse an Lebensqualität gemessen werden.
Mit neuer Energie machte sich Hannah an die Arbeit. Zunächst eine Liste mit Dingen die im Büro nicht stimmen und unentdeckt geändert werden können. Der Titel ihres Artikels: "Das Grüne Experiment - Die Auswirkung einer Öko-Umstellung auf die Lebensqualität!"
So legte sie mit ihrer ersten Aktion los, dem Verschwinden der Sicherung für die Deckenlampen, die trotz schönen Sonnenscheins leuchten, und der Klimaanlage. Mit einem geschulten Auge und dem Notizblock in der Hand, machte sie sich daran die Auswirkungen ihrer Kollegen auf Tageslicht und frische Luft zu erforschen. (Teil 3 von Michi)
Das ausgegangene Licht erzeugte sehr schnell eine Reaktion.
Ausgerechnet Achim reagierte und sagte: "Wasn jetzt los? Licht wieder an!"
Hannah hatte für einen kurzen Moment das unangenehme Gefühl, dass er sie direkt ansah, stellte dann jedoch fest, dass er seinen Blick lediglich im Raum schweifen ließ.
Sie notierte: "Phase 1 - Deckenleuchte aus - bemerkt von Subjekt "A"-der ewige Single immer auf der Suche nach Frischfleisch."
Sie malte ein Oval mit zwei Beinen, zwei Armen und einem traurigen Smileygesicht.
Hannah zögerte einen kurzen Moment, setzte die letzten Worte in Klammern und strich sie letztendlich durch.
Achim hatte den Weg zum Lichtschalter geschafft und drückte nun wild auf diesen herum.
Draußen begann es zu schneien.
Hannah beobachtete die Flocken und lächelte schwach.
Das Geräusch des wehement die Schalter bedienenden Achims trat in den Hintergrund.
Die Flocken wirbelten herum, der Verkehr war nur noch gedämpft zu hören.
"Aha, was gibt es denn da draußen?", Achim war unbemerkt an ihren Tisch getreten.
Hannah schluckte und zog ihren Notizblock zu sich heran.
"Geh' mal lieber gucken, was mit dem Licht los ist, du weißt ja wo die Sicherung ist".
Er wirkte beleidigt.
Hannah atmete verärgert aus und machte sich auf den Weg.
Sie setzte die fehlende Sicherung für das Licht wieder ein.
Als sie das Büro erneut betrat, erinnerten sie ihre Kollegen an nervöse Tiere, die unter einem Laborlicht umherhuschten.
Immerhin war ein Fenster offen, doch keiner sah hinaus. (Teil 4 von S.C.)
Noch ein Tag.
Hannah starrte auf ihren Bildschirm, neben ihr liegend der Block aus recycletem Papier.
In den letzten zwei Tagen hatte sie testweise genau dasselbe Papier in den Drucker getan, eine Schale zum Einweichen dreckigen Geschirrs in der Küche aufgestellt, biologisch abbaubares Spülmittel gekauft, eine Packung Fair-Trade-Kaffee aufgestellt, in der Mittagspause der Kollegen möglichst unbeobachtet den Stand-By-Betrieb der Computer aktiviert und noch einige andere Kleinigkeiten vollbracht, wie beispielsweise Flyer für Energiesparlampen ausgelegt.
Sie fragte sich gerade, ob sie ihre akribischen Aufzeichnungen nun einfach in den Artikel umformulieren sollte.
Nein. Das wollte sie nicht.
Denn das zusammenfassende Ergebnis war nicht eindeutig. Zwar wurde das Papier für den Drucker beispielsweise azeptiert, die Schale für dreckiges Geschirr jedoch nur von etwa jedem zweiten - die anderen spülten weiterhin ihr Geschirr unter fließendem Wasser ab.
Das Fair-Trade-Siegel zeigte Wirkung, Hannahs Kollegen griffen bevorzugt danach.
Auch der Stand-By-Betrieb in dem Dateien in den Arbeitsspeicher gelegt werden, wurde hingenommen. Die Flyer für die Energiesparlampen blieben jedoch weitgehends unangetastet.
Hannah streckte ihre Finger aus.
Sie seufzte.
"Grün", murmelte sie leise.
Letztendlich war es doch so - Medien, hin oder her, wer auch immer - wer weiß schon, was wahr ist und was nicht wahr ist.
Die ewige Diskussion zwischen Fleischessern und Fleischverweigeren, jeder hat seine Argumente, viele sagen, sie akzeptieren andere Einstellungen, doch tun sie das wirklich?
Die Kleidungsindustrie - was bedeutet "keine Kinderarbeit" - dann sind es Menschen, die nicht sechs Jahre alt sind, sondern 14?
Man weiß es nicht.
Reflektieren kann man.
Die Komplementärfarbe zu grün ist rot.
Rot wie das Blut, was jedoch auch für Leben steht.
Die Farbe rot steht auch für Liebe.
Das Experiment bestätigte, was Hannah bereits geahnt hatte - es gibt keinen grünen Weg für alle.
Jeder muss sehen, welche Aspekte er in seinem Leben einbinden kann, was er möchte.
Sein ganzes Leben danach auszurichten, was wem wo vielleicht gerade ein Nachteil sein könnte - wo bleibt da das Leben.
Reflektion ist wichtig.
"Das Grüne Experiment - Die Auswirkung einer Öko-Umstellung auf die Lebensqualität".
Hannah setzte die Überschrift über ihren geschriebenen Text.
Reflektion ist wichtig.
Doch über alles zu reflektieren kann einen wahnsinnig machen.
Die Lebensqualität ist variabel.
Jeder findet seinen eigenen Weg, auch wenn man ökologische Gesichtspunkte, grüne Gesichtspunkte nicht gleich einbezieht - zumindest bemerken könnte man sie.
Vielleicht gärt der Gedanke dann in einem.
Immerhin sagte eine Kollegin in einer Unterhaltung, dass der Fair-Trade-Kaffee gut schmecken würde und sie ihn vielleicht bald auch kaufen würde.
Angeblich schmecke "Bio" ja besser, wenn man wusste, dass es "Bio" ist.
Wenn es so ist - vielleich trägt sich auch beispielsweise grünen Mode schöner, wenn man weiß, dass es fair produziert wurde.
Dem einem ist vielleicht der Kaffee wichtiger als die Kleidung.
Es ist auch eine Frage des Geldes.
Ob strahlend hell, fast gelb, ob bläulich -
man sollte versuchen seinen ganz persönlichen Grünton zu finden.
Redaktionsschluss.
Alle aufgeregt und ungeduldig die letzten Weihnachtsvorbereitungen zu treffen, in baldiger Erwartung auf Silvester.
Hannah speicherte und schickte ihre Datei an die Verantwortlichen ab.
Draußen war es bereits dunkel.
Sie erhob sich und schob ihren Stuhl an den Tisch heran.
Auch eine Müslimaus brauchte einmal eine Pause.
Ihre Tochter bereitete zu Hause gerade den Auflauf aus saisonalen Bio-Zutaten vor.
Hannah freute sich darauf.
Sie freute sich auch auf Weihnachten.
Achim schloss gerade das Fenster.
Hannah schmunzelte schwach.
Sie hatte die Klimaanlage auf 'aus' gestellt, die Sicherung jedoch wieder eingerastet.
Doch bis heute hatte diese keiner vermisst.
"Ich lese es gleich mal durch", meinte Achim, als Hannah an ihm vorüberging.
"Okay, danke", meinte sie und sah seine schlecht kaschierten Geheimratsecken und einen merkwürdigen Ausdruck in seinen Augen.
Es wirkte wie eine Mischung aus Traurigkeit und nochetwas.
Hannah holte sich ein Glas Leitungswasser, aß einen Snack und als sie zurückkam wusste sie, was es war - Einsamkeit.
Natürlich. Weihnachten.
Fest der Liebe. Des Zusammenrückens.
"Den Artikel finde ich gut", meinte Achim etwas erschöpft, "ist schon von Horst abgesegnet."
Hannah nickte bedankend, zögerte und fragte dann: "Heute Abend schon was vor? Bei uns gibt es heute einen leckeren Auflauf - wenn Du Lust hast - komm' doch nachher mit."
Achim wirkte überrascht und etwas in seinem Blick änderte sich.
-ENDE-
(Frohe Weihnachten und ein schönes neues Jahr!)
von XYZ
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